Leseprobe - Ungewöhnliche Geschichten

 

Sea Haven

 

Nachdem ich dem Fahrer ein doppeltes Trinkgeld versprach, erhöhte er seine Bemühungen uns durch die verstopften Straßen in Richtung Flughafen zu lotsen. Wir waren spät dran und meine Frau bekam wie immer, wenn sie unter Streß litt, rote Flecke im Gesicht. Ihre Hände wuselten nervös umher und verkrampften sich um ihre Handtasche, während sie unruhig nach draußen sah und ruhiger tat als sie war. Ich schaute sie von der Seite an und ich wusste, dass ich sie immer lieben würde, bis zum meinem Tod. Ich löste meinen Blick wieder von ihr und starrte nun auch auf die gnadenlos überfüllte dreispurige Straße, die uns zum Ziel führen sollte. Scheinbar war die Abflugzeit nicht gerade die günstigste, die wir erwischt hatten. Aber diese Urlaubsreise in die Karibik hatten wir in einem Preisausschreiben gewonnen und somit durften wir uns nicht beschweren, sonder mußten alles so nehmen, wie es kam. War sowieso ein großes Glück, dass mein Chef, der alte Sondsby, diesmal nicht so rumgebockt hatte und fast schon gönnerhaft die lausigen zehn Tage Urlaub zusagte. Meine Frau hatte es da einfacher. Sie war selbständig mit ihrem Partyservice und Alice, ihre rechte Hand kam auch ganz gut ohne sie eine Weile zurecht. Die Hauptsaison war noch nicht angelaufen und selbst wenn das große Chaos losgehen sollte, wäre da auch noch Francine, die immer einsprang, wenn die Aufträge nicht mehr zu zweit zu schaffen waren. Ansonsten sah ich eigentlich kaum Probleme auf uns zukommen, da wir rechtzeitig das Taxi bestellt hatten und am Morgen um 07.00 Uhr alles fertig gepackt im Vorflur unseres kleinen Hauses stand. Der Abflug sollte um 10.05 Uhr sein und der Weg bis zum Flughafen Newark in New Jersey betrug normalerweise höchstens eine Stunde Fahrzeit. Aber erstens kam das Taxi mit zwanzig Minuten Verspätung und zweitens schien an diesem Tag sich die Welt gegen uns verschworen zu haben, denn scheinbar hatten sich alle verfügbaren Pkws der Stadt auf den Zufahrtswegen zum Flughafen versammelt und verstopften nun die Straßen.
Die Klimaanlage des Taxis war zudem defekt und so fingen wir schon an zu schwitzen, bevor wir auch nur in die Nähe der karibischen Temperaturen kamen. Ein paar Tage später war ein Feiertag und somit waren teilweise einige Nebenstraßen schon abgesperrt worden, damit sie dort Schmücken und die Umzüge vorbereiten konnten. Halb New York schien unterwegs zu sein um uns zu ärgern. Die Zeit raste dahin und wir kamen nur im Schneckentempo voran. Auch das Hupen unseres Fahrers half nicht besonders, dabei ruhig zu bleiben. Wieder schaute ich auf meine Uhr und stellte mit Schrecken fest, dass es schon 08.40 Uhr war und wir noch immer langsam dahin rollten. Plötzlich nahm meine Frau meine linke Hand in ihre und sagte zu mir.
„Meinst Du Jack, wir schaffen es noch rechtzeitig?“
Auf jeden Fall mußte ich sie beruhigen und sie nicht noch nervöser zu machen als sie schon war. Ich versuchte einen Witz zu machen und beteuerte ihr, dass wir noch genügend Zeit hätten, auch wenn das ganze Land auf dieser Straße fahren würde. Die Fluggesellschaften hätten immer einen Zeitpuffer eingerechnet und sie solle sich entspannen. Was sie dann anscheinend auch tat. Sie lehnte sich zurück und lies entkrampft meine Hand wieder langsam los. Dann ging der Zeiger stur auf die 09.00 Uhr Marke zu und irgendwie löste sich der Verkehr langsam auf. Der Fahrer hatte das nervige Hupen eingestellt und wir fuhren mit fünfzehn Meilen dahin. Es war noch zu schaffen, das sagte ich mir mittlerweile schon selbst immer wieder. Zwar sollte man mindestens 90 Minuten vorher einchecken aber darüber machte ich mir weniger Sorgen. Hauptsache der Verkehrsfluss würde nicht wieder zunehmen. Wir mußten dieses verdammte Flugzeug unbedingt kriegen ansonsten hätten wir echte Probleme. Es stand, soweit ich informiert war, kein anderer Flug von  dieser Gesellschaft zur Verfügung. Auch keinen Tag später, aber davon mal abgesehen, wer wollte schon einen ganzen Tag von seinem kostbaren Urlaub verlieren, wenn man nur im Ganzen an die zwanzig im Jahr hatte. Ich auf jeden Fall nicht. Doch die Möglichkeit bestand ja noch nicht mal. Es gab nur diesen einen und den mußten wir erwischen.
Endlich konnte ich das Hinweisschild zum Flughafen sehen und das Ende der ersten Etappe war greifbar nahe. Wir wurden wieder schneller und rauschten dann vor den richtigen Abflugterminal. Schnell stieg ich aus und klaubte unser Gepäck zusammen. Ohne noch einmal nach dem Fahrer zu sehen, begaben wir uns zügig in die Abfertigungshalle. Die Unterlagen und Onlinetickets, die ich mir selbst ausdrucken mußte, steckten in meiner linken Jackentasche. Keuchend erreichten wir den PanAm Schalter und wollten einchecken, doch dieser war verweist. Kein Mensch war zu sehen. Daneben war nur noch ein East-America und ein Britisch Airways Schalter, aber auch die waren nicht besetzt. Außer uns schien auch sonst niemand Interesse am Einchecken zu haben, denn die anderen Fluggäste, die ich sah, wuselten umher und gingen irgendwie desorientiert einfach so umher, ohne uns scheinbar zu registrieren. Kein einziger kam aber in unsere Richtung. Hatten wir doch die Abflugdaten verwechselt? Ungläubig zog ich die Papiere heraus und überprüfte noch mal die Angaben. Wir waren meiner Meinung nach richtig, am richtigen Terminal und Schalter, auch das Datum wie die Uhrzeit stimmten. In Anbetracht der Zeit sah ich mich nach Hilfe um. Es war nur ein Informationskiosk inmitten der großen Halle auszumachen und dieser wurde nun umgehend von mir und meiner Frau angesteuert. Alicia sagte schon keinen Ton mehr und ich bemerkte nur die Zunahme ihrer rötlichen Flecke im Gesicht und auf den Armen. Hilflos grinsend versuchte ich mir meine Panik nicht bei ihr anmerken zu lassen. Vor uns war ein älteres Ehepaar, welches sich nach allen möglichen unwichtigen Dingen erkundigte, was mir alles viel zu lange dauerte. Ich schob den alten Herren sanft aber energisch beiseite und legte dem dicken, ungepflegten Kerl hinter dem Fenster meine Tickets vor und betonte dabei die Eile, die uns antrieb. Ich wollte wissen, warum der PanAm Schalter fünfzig Meter hinter uns geschlossen sei. Im Hintergrund ertönte leiser Protest aber seine Frau nahm ihn wohl beiseite und redete auf ihn ein. Scheinbar sah ich schon zu allem entschlossen aus und die Frau hatte wohl Bedenken, dass ich ihrem Mann eine knallen könnte.

Meine Haare klebten mir am Kopf und mein Hemd war schon unter den Achseln durchgeschwitzt, was nicht nur ich bemerkte, weil ich meine Jacke für den Moment ausgezogen hatte. Auch mein Gesicht zeigte mittlerweile eine gerötete Farbe, wie ich bei einem kurzen Blick in den rückwärtigen kleinen Spiegel, des rundlichen Mannes vor mir sah. Dieser studierte unsere Tickets mit teilnahmslosen Blicken und schob sie mir dann zurück.
„Der PanAm ist auch nicht der richtige Schalter, Mister. Hinter der Buchungsbestätigung Ihrer Fluggesellschaft steht ein kleines „sh“. Das heißt, Sie müssen in die andere Abflughalle, Terminal 13 und die Gesellschaft heißt auch nicht PanAm, sondern – Sea Haven -. Hat Ihnen das niemand mitgeteilt?“
Ich versuchte meine Stimme nicht zu sehr zu erheben und sagte kontrolliert zu ihm im normalen Ton.
„Nein, hat es nicht. Das kann doch wohl alles nicht wahr sein. Wieso steht dann dort oben –PanAm-? Das ist eine Irreführung sondergleichen, finden Sie nicht?“
„Ich kann Ihren Unmut verstehen, Sir, aber die großen Fluggesellschaften haben meistens diverse Tochtergesellschaften und da kann es schon mal vorkommen, wenn ein Flieger voll ist, dass die kleineren kurzfristig einspringen müssen. Bitte diesen Gang hinunter und dann immer geradeaus. Es ist ein Fußweg von ungefähr fünfzehn Minuten. Das schaffen sie noch locker. Haben Sie sonst noch Wünsche oder Fragen?“
Er grinste mich mit seinem fetten Gesicht unheimlich an und mir fiel im Moment kein weiterer Kommentar dazu ein. Wir mußten uns beeilen, das war am wichtigsten. Ich drehte mich zu meiner Frau um und sah ein paar Meter daneben, wie das Rentnerehepaar mich kühl musterte, als wenn ich ein unhöflicher Prolet wäre. Das war mir alles zu dem Zeitpunkt völlig egal. Das Flugzeug, von welcher Gesellschaft auch immer, Sea Haven hatte ich noch nie zuvor gehört, würde nicht ewig auf uns warten. Also schnappte ich mir die Koffer und spornte meine Frau zu einem hoffentlich letzten Marsch durch die Abflugterminals an. Kurz bevor wir den ersten Terminal verließen, griff ich mir noch einen von diesen Kofferwagen und so ging es um einiges schneller und leichter voran.
Meine Frau hetzte die ganze Zeit wie ein angestochenes Huhn hinterher und die Gänge zogen sich in die Länge. Meine Jacke hing nun endgültig über den Koffern und meine Krawatte war mehr als nur leicht gelöst. In diesem Moment kam es mir so vor, als wenn wir die einzigen hektisch gehenden Menschen auf dem ganzen Flughafen waren. War natürlich nur reine Einbildung, aber wer wollte es mir denn verdenken, dass ich langsam durchdrehte. Meine arme Frau mußte ganz schön was mitmachen, wo ich doch Hektik und Aufregung bei ihrer Krankheit von ihr fern halten wollte. Sie tat mir sehr leid und ich beschloß, alles wieder gutzumachen, wenn wir ersteinmal im Paradies angekommen waren. Endlich nach fünfunddreißig Minuten, ich schaute auf die Uhr, es war nun schon 09.40 Uhr, von wegen fünfzehn Minuten, dachte ich, kamen wir an den einzigen Schalter der dort in der kleinen Halle vorhanden war. In roter Schrift stand dort „Terminal 13 – SH Airline“.
Ein kleines unscheinbares „Sea Haven“ Wappen, klebte über der schwarzhaarigen häßlichen Angestellten, die teilnahmslos dort saß und scheinbar nichts zu tun hatte. Meine Freude über das sofortige dran kommen, verflog sehr schnell, als ich mich umblickte und kaum eine weitere Menschenseele außer uns sah. Wir waren die einzigen, die die Halle betreten hatten. Erst als ich die Koffer aufs Band stellen wollte, wurde sie lebendig. Sie grinste professionell aber kühl und griff nach den von mir gereichten Flugtickets.
„Willkommen bei Sea Haven, Mr. und Ms. Hoogen. Sie sind aber sehr spät dran und ich hoffe, der Kapitän fliegt nicht ohne Sie!“
Dann lachte sie gackernd wie eine Glucke. Ich dachte nur, jetzt spinnen hier aber alle komplett. Sie hatte wohl meinen Gesichtsausdruck bemerkt.
„Entschuldigen Sie den kleinen Scherz, aber Sie müssen sich wirklich beeilen, hören Sie? Hier bitte, Ihre Bordkarten. Jetzt aber schnell, husch, husch.“
Wieder kicherte sie wie ein kleines Mädchen und hielt sich dann die Hand vor den Mund.

Mich wunderte mittlerweile schon fast gar nichts mehr und wir begaben uns beide zügig in den Abflugbereich, der aus mehreren düsteren und einsamen Durchgängen bestand, bis wir in einen helleren, gemütlicheren Bereich kamen, wo gepolsterte Bänke und Stühle angeordnet waren. Am Ende führte uns der Weg aber wieder in eine dunkle Röhre, in der seitlich in roten Leuchtbuchstaben – Sea Haven – erstrahlte. Ich überlegte auch, wann wir durch den Zollbereich mußten. Er sah schon alles recht merkwürdig aus, aber wir hetzten weiter ohne uns weiter darum zu kümmern, bis wir zu einem jungen Mann kamen, der breitbeinig vor der Schleuse zum Einstieg des Flugzeuges stand und mit streng zurück gekämmtem Haar scheinbar nur noch auf uns gewartet hatte. Ich übergab die Bordkarten, die er ohne zu zögern entwertete und als wir schon fast an ihm vorbei waren, grinste er und sagte nur:
„Ich wünsche Ihnen einen guten Flug mit Sea Haven.“
Wir beide reagierten nicht darauf und eilten zügig weiter durch die Schleuse zum Flugzeug. An der Kabinentür stand eine kleine blonde Stewardeß, die nur einen hastigen Blick auf die Bordkarten warf und uns dann einfach durchwinkte. Am Eingangsbereich waren keine Zeitungen oder Zeitschriften, wie sonst üblich postiert und so begaben wir uns ohne Lektüre, aber erleichtert es noch geschafft zu haben, durch die schmalen Gänge. Es war kein großer Flieger aber trotzdem saßen die vereinzelten Passagiere alle großzügig verteilt umher. Ich schaute auf die Sitzplatznummern und fand unsere Reihe nach kurzer Zeit. Wir hatten 47a und 47b. Vielleicht hatten wir ja Glück, dachte ich noch, dass niemand direkt vor oder hinter uns saß. Wenn wir wirklich die letzten waren, die noch an Bord gekommen waren, standen die Chancen recht gut. Das Handgepäck verschwand in dem fast leeren, oberen Gepäckfach und dann setzten wir uns hin. Meine Frau bekam den Fensterplatz. Dort saß sie bei Flügen immer am liebsten, obwohl sie noch nicht oft geflogen war. Dankbar küßte sie mich leicht auf die Wange. Es ging ihr scheinbar langsam etwas besser, was mich sehr freute. Die Turbinen heulten leise im Hintergrund und es schien, dass es bis zum Start doch noch einen Moment dauern würde.
Deshalb sah ich mich eine Weile um und beobachtete die anderen Passagiere. Irgendwas beunruhigte mich dabei. Entweder schliefen sie oder saßen einfach nur stumm da. So etwas hatte ich vorher noch nie in der Form erlebt. Aber noch machte ich mir darüber keine weiteren Gedanken, denn meine Frau lenkte mich mit Fragen über das richtige Anlegen der Gurte und über die Sicherheitsbestimmungen ab. Und so war ich ein wenig beschäftigt, bis eine gut aussehende Stewardeß in unserem gang auf uns zukam. Sie war außerordentlich hübsch und ihre langen Beine schauten verführerisch unter ihrem knielangen Rock hervor. Mein Vetter Winnie hätte sich sehr über so eine Schönheit gefreut. Er war seit vielen Jahren Single und er hätte sie bestimmt nach einem Date gefragt.
Sie lächelte sanft und beugte sich dann leicht zu mir herunter.
„Guten Tag, Mr. und Ms. Hoogen. Wenn Sie oder Ihre Frau etwas wünschen sollten, würde ich mich freuen, es Ihnen zu erfüllen.“
Meine Frau schaute etwas mißtrauisch in meine Richtung, weil ich den Blick von dieser Schönheit nicht lassen konnte. Aber eigentlich mußte sie wissen, wie sehr ich sie liebte und sie niemals in irgendeiner Form verletzten würde. Trotzdem erlaubte ich mir den Luxus, ein bißchen mit dem Modell zu flirten.
„Ja, hallo Miß...“ Ich schaute auf ihr Namensschild.
Auf dem kleinen, mit einer strahlenden Sonne im Hintergrund erkennbaren Schild stand: D. Lawsen.
„Miß Lawsen, ich hätte gern einen Bourbon und meine Frau... ?“
Ich blickte zu Alicia und diese starrte verträumt aus dem Fenster.
„Alicia?“
Ohne wegzusehen, sagte sie.
„Ich hätte gern einen Kaffee, wenn es möglich ist.“
„Sehr gern, aber bevor ich Ihnen die Getränke bringe, würde ich Sie bitten, Mr. Hoogen, noch einmal kurz mit nach vorne zu kommen. Irgend etwas stimmt wohl nicht mit unserer Passagierliste. Und bis das geklärt ist, kann der Pilot nicht starten.“
Ich war etwas durcheinander. Was meinte sie nur damit? Es stimmte etwas nicht mit der Liste? Was sollte ich denn daran ändern können?
Aber um den Start nun endlich zu beschleunigen, wollte ich kooperativ sein und mitkommen.
„Wenn ich Ihnen dabei helfen kann, gerne, Miß Lawsen.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen, es wird auch bestimmt nicht lange dauern.“
Ein wenig unwohl sah ich zu Alicia, die sich mir zuwendete. Sie lächelte mich an und sagte sanft:
„Nun geh schon, damit wir endlich starten können, Liebling.“
Ich folgte also der Stewardeß bis ganz nach vorne bis kurz vor das Cockpit und sie zeigte mir ihre Liste. Dort standen nur insgesamt 24 Namen und unsere Namen waren wirklich nicht zu finden.
„Wie kann das sein?", fragte ich sie ungläubig.
„Unser Flug sollte ja eigentlich auch mit der PanAm Gesellschaft direkt auf die Bahamas gehen. Doch vor einer knappen Stunde erfuhren wir, dass wir mit dieser... – mit Ihnen fliegen sollen. Könnte es nicht sein, dass da jemand einen Fehler gemacht hat? Das ist jetzt aber auch Ihr Problem, wir haben alles richtig gemacht und wir werden hier bleiben.“
„Nein, Sir. Eigentlich kann es nicht passieren, dass hier Fehler gemacht werden. Unsere Leute sind das sehr gründlich. Haben Sie Ihre Unterlagen dabei? Dann könnten wir dort genau nachsehen.“
„Ich habe nur meine Onlineunterlagen mit, wo einfach gesagt, nicht viel mehr drauf steht als auf dem Ticket. Und was nun?“
„Ich würde sagen, Mr. Hoogen, das Sie mit Ihrer Frau in der falschen Maschine sitzen. Wir können Sie nicht mitnehmen. Dies ist nämlich ein Sonderflug und wer nicht auf der Liste steht, kann nicht mit. Wir haben da eindeutige Vorschriften.“
„Aber das können Sie doch nicht machen. Wir haben uns abgehetzt um rechtzeitig hier zu sein. Wir haben diese Reise gewonnen und meine Frau ist krank und freut sich doch so sehr darauf. Kann man denn die Daten nicht irgendwie, irgendwo abfragen?“
„Nein, tut mir leid. Wir haben nicht die Möglichkeit, im Moment jedenfalls nicht. Und wenn wir unterwegs sind, gibt es kein zurück mehr. Dann müssen Sie bis ans Ende mitkommen.“
Ich verstand nicht so richtig, was sie mir damit sagen wollte, aber auf keinen Fall wollte ich Alicia noch einmal aus dem Flugzeug zerren,, um dann vielleicht gar nicht mehr von dort weg zu kommen. Wahrscheinlich hätten wir dann das andere Flugzeug auch schon verpaßt.
„Hören Sie zu, Miß Lawsen. Ich möchte keine Schwierigkeiten machen aber irgendwer hat irgendwo einen Fehler gemacht und diese Urlaubsreise ist im Moment das Wichtigste, was es für mich und meine Frau gibt, verstehen Sie?“
Die Stewardeß schaute etwas überrascht.
„Auf keinen Fall werden wir wieder aussteigen, dass können Sie Ihrem Kapitän ruhig sagen, oder noch besser, ich sage es ihm. Wie geht diese Tür auf?“
Sie stellte sich mir in den Weg und das erste Mal seit unserer Begegnung verlor sie die Fassung.
„Nein, bitte nicht. Ich werde mit ihm reden, okay? Vielleicht gibt es ja wirklich eine Möglichkeit, das Sie mitkommen können. Aber ich sagte Ihnen nochmal, unser Ankunftsziel ist Sea Haven, wo Sie eigentlich nicht hin wollen, Sir. Sind Sie sich wirklich sicher, mitkommen zu wollen?“
„Mir ist mittlerweile egal wie der Zielflughafen heißt oder die Insel. Hauptsache, in die Wärme und den Urlaub. Wir warten schon solange darauf. Ich bin mir sicher, Miß!“
„Gut, aber bitte setzen Sie sich dann solange wieder auf Ihren Platz Sir, und ich sehe, was ich machen kann. Ich danke Ihnen.“
Ich ging zurück und dabei sah ich wieder, dass alle anderen Fluggäste scheinbar schliefen. Ohne stehen zu bleiben, ging ich weiter und zurück zu meiner Frau. Alicia erwartete mich schon aufgeregt und kriegte sich kaum wieder ein.
„Jack, Jack, mir ist etwas komisches passiert. Als Du weg warst, kam ein Mann zu mir und sagte, er kenne mich aus einem anderen Leben, kannst Du Dir das vorstellen? Er meinte, ich wäre willkommen an Bord aber Du gehörst hier nicht her. Ich habe ihn barsch weggeschickt und ihm gesagt, er solle jemanden anderen belästigen, aber nicht uns.

Leute gibt es, nicht wahr? Und wie ist es bei Dir gelaufen? Ist alles geregelt? Nun sag schon?“
„He, Alicia, beruhige Dich doch. Die Chefstewardeß will versuchen, dass wir mitkommen dürfen. Alles wird gut werden, okay?“
Kurz darauf kam die Stewardeß wieder den Gang herunter und ihr Gang erinnerte mich mehr an ein Schweben als ein Laufen. Sie beugte sich wieder etwas zu uns hinab, als wenn sie Angst hatte, lauter sprechen zu müssen und sagte dann:
„Es tut mir wirklich leid aber der Kapitän will Sie beide nicht mitnehmen. Er sagt, Sie gehören nicht an Bord und das Reiseziel wäre nicht das Ihre. Ich bedaure es sehr, aber Sie müssen wieder aussteigen.“
Dann sah sie mitfühlend zu Alicia und wieder zu mir und erwartete eine Reaktion von uns. Ich sah sie stur an und zog gleichzeitig meinen Gurt wieder fest. Ich sagte:
„Es tut mir auch leid, Miß Lawsen, aber wir bleiben hier sitzen und werden diesen Flug antreten, ob der Kapitän dagegen ist oder nicht. Uns kriegen Sie hier nicht mehr raus ohne Gewalt. Sagen Sie ihm das!“
Ich schaute kurz zu meiner Frau, die etwas unsicher schien, aber dann auch ihren Sitzgurt solidarisch fest schnallte. Die Stewardeß schien konsterniert und wusste wohl im ersten Moment nicht, wie sie reagieren sollte. Aber dann hatte sie sich wieder im Griff und lächelte mutig.
„Also gut, wenn Sie wirklich nicht umzustimmen sind, können wir es nicht ändern. Wir haben sowieso schon ziemlich Verspätung und der Kapitän will so schnell es geht, starten. Ich werde jetzt nach vorne gehen und die Kabinentür schließen. Ihre letzte Chance, falls Sie es sich noch anders überlegen sollten!“
Bevor die Stewardeß sich umwenden konnte, faßte ich ihre Hand, die mir ziemlich kühl erschien, und die noch abstützend auf der vorderen Lehne ruhte. Ich sagte leise zu ihr.
„Wir bleiben bei unserem Entschluß, Miß Lawsen. Aber ich habe da noch eine andere Sache auf dem Herzen. Warum ist die Maschine denn so leer und nur mit so wenigen Passagieren in der Urlaubszeit belegt?
Die meisten von denen sehen ziemlich bleich und ungesund aus. Was für ein komischer Sonderflug ist das überhaupt?“
Sie flüsterte leise zu mir zurück.
„Darüber kann ich nichts sagen. Nur das dies ein wirklich besonderer Flug ist und Sie deshalb aussteigen sollten, bevor es nicht mehr geht. Also, was ist? Sind Sie endlich vernünftig geworden?“
Ich überlegte kurz, dann entgegnete ich:
„Nein, auch wenn mir langsam die Sache komisch vorkommt. Wir bleiben!“
Sie nickte, akzeptierte unsere Entscheidung und machte sich dann mit einem sanften Hüftschwung wieder auf den Weg nach vorne um die Eingangsluke zu schließen. Alicia faßte mich am Arm und sagte:
„Meinst Du wirklich, Jack? Das ist mir langsam alles schon unheimlich, was sich hier abspielt. Was meinte sie mit –aussteigen, bevor es nicht mehr geht? Und warum ist unser Flugziel nicht das ihre?“
Ich küßte ihre Hand.
„Bleib ruhig, Darling. Sie wollte uns wahrscheinlich nur wieder loswerden, weil sie wissen, dass da einer einen dicken Fehler gemacht hat und wir auf unser Recht bestehen. Bevor wir sie verklagen am Ende. Wie die uns nachher auf unsere Karibikinsel kriegen, ist deren Problem.“
Ich konnte sehen, wie die Stewardeß nach vorn ging, die Luke verriegelte und dann den Kapitän über die beiden sturen Passagiere informierte. Die Schleuse wurde zurück gezogen du die Turbinen heulten energisch auf, während wir beide uns merklich entspannter in unsere Sitze zurück lehnten.
„Na siehst Du, Schatz. Klappt doch noch alles. Von den Anfangsschwierigkeiten mal abgesehen, geht es jetzt endlich los.“
Sie blickte mich erleichtert an und drückte meine Hand wieder. Ihre bis dahin aufgetretenen Flecke im Gesicht und den Händen, verblaßten langsam. Ich sah mich in der Kabine wieder um und bemerkte, dass kaum einer der anderen Fluggäste Geräusche verursachte. Kein Klappern, Gerede oder sonstiges. Bis auf die Turbinen hörte man keinen Laut.
Dann rollten wir zügig auf die Startbahn und kurz darauf erhöhte der Pilot die Geschwindigkeit und die Maschine hob plötzlich wie von Geisterhand getrieben ab. Endlich waren wir auf den Weg ins Paradies, dachte ich.
Angegeben waren an die zehn Stunden Flug und somit konnten es uns ersteinmal entspannt gemütlich machen.
Irgendwann döste ich ein wenig weg. Dann schreckte ich auf einmal hoch und merkte, dass sich in der ganzen Maschine nichts tat. Nicht die üblich störenden Essenwagen, die klappernd durch die Gänge polterten, keine gewünschten Alkoholika oder Zigarettenverkäufe oder die auch immer zusätzlich angeforderten Ruhekissen und Decken für eine so lange Reise wurden nicht ausgegeben. Keine der Stewardessen lies sich blicken um nach dem Wohlbefinden der Passagiere zu sehen, wie man es sonst gewohnt war. Neben mir schlief meine Frau den Schlaf der Gerechten und ich wollte sie nicht wecken, wegen meiner Paranoia. Nach einer weiteren halben Stunde, löste ich meinen Gurt und ging in den vorderen Bereich, wo die Bordküche war. Ich konnte dort niemanden vorfinden. Keine der vorher noch gesehenen Stewardessen war in der Nähe. Ich stand nun direkt neben der Cockpittür und zögerte noch. Sollte ich es wagen und die Piloten belästigen, wo ich doch schon für Unruhe am Anfang gesorgt hatte? Vorsichtshalber ging ich durch das ganze Flugzeug und suchte einen von der Crew, fand aber niemanden. Die schlafenden Passagiere, an denen ich vorbei ging, machten plötzlich auch einen ziemlich ungesunden Eindruck auf mich. Ihre Blässe und hohlwangigen Gesichter erschreckten mich sogar ein wenig. Ich hatte genug davon und ging zurück und versuchte ins Cockpit zu den Piloten zu gelangen. Sie war fest verschlossen. Ich drückte, zog und zerrte an dem Knauf herum doch es tat sich nichts. Gerade als ich unverrichteter Dinge aufgeben und zurück zu Alicia gehen wollte, klickte der Verschluß und die Tür sprang einen Spalt breit auf. Ich zog die Tür auf und war im ersten Moment starr vor Schreck ...