Er stand auf der schönen, von ihm selbst angelegten Dachterrasse und schaute hinunter ins Tal, wo der Strom der Menschen in Richtung des riesigen Raumschiffes floß, dass vor fünf Tagen angekommen war und nun die letzten Siedler einsammelte. Als er sich von dem faszinierenden Anblick löste und wegdrehte, blickte er auf den Antennenwald mit der vier Meter großen Satellitenschüssel, die er damals mühsam und allein installiert und bis die Datenströme und der perfekte Empfang sich einstellte, dafür fast zwei Wochen gebraucht hatte. Das luxuriöse Haus und alle Anbauten wie auch die Installationen von ihm würden zurück bleiben. Fast acht Jahre hatten sie darin gewohnt, gelebt, geliebt und gestritten. Obwohl das letztere selten vorkam. Shiela war eine sanfte und verständnisvolle Frau, warum er sie auch so liebte und damals ohne zögern geheiratet hatte. Ihre jugendliche Schönheit von damals war einer reiferen gewichen, aber noch immer drehten sich die jungen Männer nach ihr um, wenn sie das Haus verließ. Bis vor einem halben Jahr, jedenfalls, dachte er. Was für eine Ungerechtigkeit das nur war. Warum bekam gerade sie diese hinterhältige und fürchterliche Krankheit?
Sie hatten mit den beiden Kindern darüber gesprochen, doch die Einzelheiten hatten sie verschwiegen. Der vierjährige Wes war dort geboren und kannte nichts anderes. Die übervölkerte Erde und die anderen drei bewohnten Welten kannte er nur durch Visaphon und Bildern. Doch allein das und die Erzählungen der Reisenden und Piloten der Pendlerschiffe, hatten ihn neugierig gemacht und er freute sich auf das große Abenteuer. Frya war mit ihren zwölf Jahren schon reifer und eigentlich gefiel es ihr ganz gut auf dem Trabanten aber die Rohstoffe waren erschöpft und es gab keinen Grund mehr für die Gesellschaft, noch weiter die Siedlungen aufrecht zu halten und zu versorgen. Sie machten reinen Tisch und evakuierten alle Personen. James und seine Frau Shiela hatten die beiden Kinder in dem Glauben gelassen, sie würde später mit einem speziellen Medizinshuttle nachgeholt.
Doch war dies nicht realisierbar und von hohen Kosten abgesehen, unmöglich. Selbst sein nicht gerade geringer Einfluss als Ingenieur bei der Gesellschaft reichte nicht aus. Wie konnte er seine Frau, die bettlägerig und nicht transportfähig war, zurück lassen? Welcher Mann, der seine Frau so liebt, konnte das? Sie hatten hundert, wenn nicht tausend Mal darüber gesprochen und es war eigentlich der vernünftigste und mit Blick auf die Zukunft der Kinder, der einzige Weg. Doch noch immer sträubte sich alles in ihm, es so durchzuziehen. Shiela allein, mutterseelenallein zurück zu lassen. Selbst die einfach konstruierten Roboter, die Erze und Kristalle förderten, wurden mitgenommen. Sollte sie so allein und verlassen von ihren Liebsten sterben? Er entschied sich dagegen und ging runter in den großen Aufenthaltsraum des Hauses. Wes packte noch immer an seiner kleinen Tasche herum und war am überlegen, welches Spielzeug er wohl mitnehmen sollte. Frya saß auf dem bequemen Ecksofa und starrte gedankenverloren nach draußen. Er rief beide zusammen und ging mit ihnen nach draußen.
„Wir drei werden einen kleinen Spaziergang machen, ich muss etwas Wichtiges mit Euch besprechen.“
Wes rebellierte anfangs und quengelte herum.
„Sei artig und hör mit bitte zu. Es geht um Mutter und unseren Abflug.“
Frya sagte kein Wort aber er bemerkte eine Träne in ihrem Augenwinkel.
„Wir haben jetzt noch genau zwei Stunden Zeit bis das Rückholschiff abhebt und ich möchte Euch fragen, was Ihr davon halten würdet, wenn wir hier bleiben?“
Frya schluckte und fragte dann: „Du meinst, wir sollen länger hier bleiben bei Mom und dann mit dem Medizinshuttle später fliegen?“
„Es gibt kein später, Frya!“
„Wie meinst Du das, Dad?“
„Es ist definitiv das letzte Schiff, das diesen Planeten angeflogen ist und jemanden mitnimmt. Ein Medizinshuttle wird nicht kommen.“
„Aber Du und Mom, Ihr habt doch gesagt...“
„Ich weiß, das war nicht ganz richtig. Ich denke, Du bist langsam alt genug für die Wahrheit. Mom bleibt, wenn wir weg sind ganz allein zurück und sie will es auch so aber ich find, es ist nicht in Ordnung. Sie möchte für euch eine gesicherte Zukunft haben und hier auf Caldon gibt es, falls wir hierbleiben, keine besonders rosige Zukunft. Wir wären auf uns gestellt und müßten allein klar kommen. Dies war der letzte Rohstofftrabant in diesem System und wenn er geräumt ist, werden keine Schiffe mehr unmittelbar hier vorbei kommen. Unwichtige, schon ausgebeutete Planeten werden einfach auf den Sternenkarten abgehakt und nicht mehr beachtet. Also, was haltet Ihr davon?“
Wes verstand das alles nicht und hatte seine Aufmerksamkeit wieder seinem kleinen Spielzeug zugewandt und er summte dabei fröhlich. Frya schien wie betäubt und war fast sprachlos.
„Wes kann noch nicht allein entscheiden, aber Du Frya, Du schon. Außerdem muss ich Dir noch etwas sagen, dass Mom...wie soll es nur ausdrücken?“
„Mom wird sterben, nicht Dad?“
„Ja, aber woher...?“
„Ich bin zwar erst zwölf Dad, aber deswegen nicht dumm.“
„Das habe ich nie gedacht. Wie lange weißt Du es schon?“
„Seit einem Monat. Ich habe Euch zufällig mal miteinander sprechen hören. Ich wollte nicht aber ich kam gerade herein als Mom anfing zu weinen.“
James nahm Frya in den Arm und ihre Tränen liefen.
„Das war nicht geplant. Es tut mir leid, dass Du das mit angehört hast.“
„Schon gut Dad. Ich würde gerne hier mit Dir und Wes bei Mom bleiben.“
„Ist das Dein Ernst? Hast Du Dir das gut überlegt? Es gibt dann kein zurück mehr!“
„Ich bin mir sicher!“
Ihre feste Stimme und ihr Blick machten ihn stolz und nun musste er die Tränen unter Kontrolle halten.
„Kommt, laßt uns zu Mom gehen und es ihr sagen.“
Sie versammelten sich um das mit Geräten und Schläuchen ausstaffierte Bett und er musste immer wieder auf das Kardiogramm der Kurven schauen. Ein auf und ab und irgendwann würde die Zickzacklinie ganz nach unten wandern und nie wieder steigen. Doch soweit wollte er im Moment nicht denken und versuchte wieder seine ganze Aufmerksamkeit der geliebten Frau unter der weißen Decke zu widmen. Sie öffnete die Augen als wenn sie die Anwesenheit der drei spüren konnte und sie versuchte zu lächeln.
„James, Kinder. Wie schön, dass Ihr mich noch einmal alle gleichzeitig aufsucht. Es ist Zeit, das Schiff wird doch bald abheben, oder?“
„Ganz ruhig, Shiela. Wir haben Dir etwas zu sagen!“
„Warum so ernst und förmlich, James?“
„Shiela, hör mir zu, wir wollten...“
„Habt Ihr schon alle Taschen gepackt? Und vergeßt mir den Goldfisch nicht, nein?“
„Shiela, ich...“
„Ihr solltet bald los, sonst bekommt Ihr keinen guten Platz mehr.“
„Bitte, Shiela!“
„James, sagt mir alle schnell adieu und dann laßt mich allein. Kinder, wir sehen uns bald wieder, Ihr braucht nicht traurig sein!“
„Sie wissen es Shiela, sie wissen die ganze Wahrheit.“
„Wie konntest Du das tun? Wir hatten doch darüber gesprochen.“
„Ja, das stimmt. Aber es muß mir von Anfang an nicht gefallen haben, oder?“
„Es ging auch nicht darum, ob es Dir gefällt, James. Es geht nur um die Kinder.“
„Shiela!“
Sie fing an zu weinen und drehte den Kopf weg.
Er machte einen neuen Anlauf und versuchte ihre kränkenden Worte zu ignorieren, da er wusste, wieso sie sich so stur stellte.
„Die Kinder und ich werden bei Dir bleiben, bis zum Schluß. Egal was passiert!“
„Aber wieso, James? Wieso?“
„Wie kannst Du das fragen? Weil wir Dich so sehr lieben, wir drei!“
Sie schluchzte und drehte ihren Kopf wieder zu ihm.
„Die Ärzte konnten mir doch noch nicht mal sagen, wielange es noch genau dauert. Sie schätzen einen Zeitraum von einem viertel Jahr bis zu einem Jahr. Wenn ich nicht mehr bin, was soll dann aus den Kindern werden? Sollen sie hier mit Dir allein aufwachsen? Wer weiß, wann mal wieder ein Scoutschiff vorbei kommt. Vielleicht nie wieder!“
„Das ist uns egal. Wir bleiben bei Dir ob Du willst oder nicht!“
„Du kannst das vielleicht für Dich entscheiden, aber die Kinder?“
„Ich denke, Frya ist schon alt genug und Wes gehört zu uns. Er wird es verstehen wenn er älter ist.“
„So etwas Unvernünftiges habe ich ja noch nie erlebt. Ich will Euch hier nicht mehr haben, habt Ihr verstanden? Geht endlich und fliegt weg, haut ab!“
Der kleine Wes nahm weinend ihre linke Hand, die seitlich auf dem Bett lag und Frya kam auch dichter heran.
„Mom, wie kannst Du so was sagen? Hast Du uns denn nicht mehr lieb?“
Shiela war selbst bestürzt über ihre Worte und schämte sich nun dafür.
James versuchte seine Tränen zurück zu halten.
„Du kannst sagen was Du willst, uns wirst Du nicht so schnell los.“
Er nahm ihre rechte Hand und legte behutsam die Schläuche, die aus der Armbeuge heraus in die Maschine dahinter verliefen, beiseite. Sie brauchte einen Moment um sich zu sammeln und zu schlucken.
„Ich wollte das nicht sagen, das ist alles so unvernünftig, was Ihr vorhabt. Natürlich liebe ich Euch, mehr als Ihr glaubt!“
Sie strich Wes über den blonden Lockenkopf und drückte gleichzeitig die Hand ihres Mannes.
„Seid Ihr sicher, das zu tun?“
„Sind wir“, sagte er sofort.
Frya nickte mit einem zaghaften Lächeln und Wes stand neben seiner Schwester ganz stolz und nickte auch.
„Ihr seid das Beste, was mir je passieren konnte.“
Er löste sich von ihrer Hand und gab ihr einen Kuß auf den Mund.
„Wir bleiben eine Familie, von jetzt an bis in die Ewigkeit.“
„Na gut, aber ich bin so erschöpft, gönnt mir einen Moment der Ruhe, ja?“
Er nickte und nahm die Kinder mit in den Wohnbereich. Einen Moment später summte sein persönliches Händy. Es war Simon, sein Kollege aus dem Büro.
„James, wir sind jetzt soweit. Alle wichtigen Dinge und Unterlagen sind verstaut und fast alle an Bord. Cornwall und die anderen sind schon unterwegs zum Schiff. Wann kommst Du mit den Kindern? Uns bleiben noch fünfundfünfzig Minuten bis zum Start.“
„Simon, Du brauchst Dir keine Gedanken machen. Wir bleiben hier!“
„Wie bitte? Ich habe mich wohl verhört, oder?“
„Nein, hast Du nicht. Grüß mit bitte alle noch mal, wenn Du an Bord gehst. Lebe wohl, Simon, Du warst ein guter Kollege und Kumpel.“
„Das kann doch nicht Dein Ernst sein. Du und die Kinder, Ihr wollt wirklich hier bleiben? Aber sagtest Du nicht...?“
„Ja ich weiß. Ich habe meine Meinung geändert. Wir wollen Shiela nicht allein zurück lassen!“
„Nun gut, das musst Du wissen. Aber falls Du es Dir noch einmal anders überlegst, fünfzig Minuten, James, nicht länger. Die letzte Chance, diesen staubigen Planeten zu verlassen!“
„Leb wohl, Simon!“
Er legte auf und ging dann nach draußen und überprüfte noch einmal die Vorräte und Energieeinheiten im Nebenhaus. Ohne es recht geplant zu haben, würden sie damit mindestens ein Jahr auskommen. Nach zwanzig Minuten kam er wieder herein und hörte ein lautes Wimmern aus dem Schlafzimmer. Er öffnete vorsichtig die Tür und sah wie ...